Schlagwort: Marginalisierung

Warum ist reproduktive Gerechtigkeit ein Thema in der BRD?

Feministische Kämpfe um reproduktive Selbstbestimmung sind in den letzten zwei Jahren in Deutschland wieder präsenter geworden – insbesondere seit der Prozesse um die Gynäkologin Kristina Hänel wird die Forderung nach der Abschaffung von Paragraph 218 und 219a auch in Mainstream-Medien diskutiert. Selten wird dabei in den Blick genommen, wie die Debatte um die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den breiteren Themenkomplex „Reproduktion und Bevölkerungspolitik“ eingebunden ist.

Unsere Körper und ihre Reproduktionsfähigkeit werden in einer kapitalistischen Gesellschaft zu Instrumenten der Aufrechterhaltung einer herrschenden gesellschaftlichen Ordnung. Durch gesellschaftliche und staatliche Anreize wird in der BRD vor allem die Reproduktion von weißen, cisgeschlechtlichen und heterosexuellen AkademikerInnen ohne Behinderung gefördert. Insbesondere den Frauen, die in diese Kategorie fallen, werden Lebensentwürfe, die Kinder kriegen umfassen, geradezu aufgezwungen – beispielsweise durch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Doch viele Menschen machen gegenteilige Erfahrungen, insbesondere wenn sie marginalisierten Communities angehören. Ihre Reproduktion wird gesellschaftlich abgewertet und institutionell sanktioniert, beispielsweise durch sozialstaatliche Politiken wie das Elterngeld, das Menschen mit höherem Einkommen in viel höherem Umfang Unterstützung leistet als Geringverdiener_innen.

Während einige Frauen also im Namen der Familie als „Keimzelle der Nation“ unter Druck gesetzt werden, als „Gebärmaschinen“ zu funktionieren, erfahren viele Frauen und Queers große Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Lebensentwürfen, die den Aufbau von (Wahl)familien beinhalten. Reproduktive Gerechtigkeit stellt als Konzept Zusammenhänge zwischen den Realitäten verschiedener Menschen und Communities dar, und ermöglicht es, sich unter Berücksichtigung der verschiedenen Problematiken zu verbünden.

Einige Beispiele für Fragen der Reproduktiven Gerechtigkeit in der BRD:

  • die Trennung von Familien durch europäische Grenzpolitiken
  • die Kürzung des Hartz IV-Regelsatzes um das Kindergeld
  • der Kampf um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare
  • der Mangel an bezahlbarem Wohnraum
  • im Gesundheitssystem erlebter Rassismus
  • die Unmöglichkeit, einen Kitaplatz zu finden
  • das Drei-Klassen-System der Krankenversicherung
  • die Kriminalisierung von Familien of Color durch rassistische Diskurse über Intensivstraftäter oder Clankriminalität
  • die Pathologisierung und Zwangsmedikalisierung von Trans- und Inter-Personen
  • die Unterbezahlung von Erzieher_innen und die generelle Abwertung von care-Arbeit
  • der Zugang zu medizinischer Versorgung für wohnungslose oder undokumentierte Menschen
  • Versuche der Abschiebung schwangerer geflüchteter Frauen aus dem Krankenhaus heraus
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